Ein Rundgang entlang der Birkle-Glasfenster
Der Erzählzyklus beginnt an den südseitigen Fenstern des Chors, die alttestamentliche Vorbilder zur Kreuzigung Christi zeigen:
Kain und Abel (Gen 4)
Die eherne Schlange (Num 21,8)
Abraham und Isaak (Gen 22)
Die Osterfenster erzählen die Passion und Auferstehung Jesu:
Rechts:
Gebet am Ölberg, Geißelung Jesu; Leidenswerkzeuge (kl. Bildreihe)
Links:
Verspottung und Dornenkrönung, Jesus beim tragen des Kreuzes
Mitte:
Kreuzigung und Auferstehung Christi; Eucharistiefeier (kl. Bildreihe)
Als Zwischenthema fungiert das Glasfenster, das den Erzengel Michael im Kampf gegen das Böse zeigt:
Erzengel Michael
Das Thema der Chorfenster wird im Fenster der Westfassade weitergeführt:
Wiederkunft Christi, Schlussvision des Himmlischen Jerusalem
Die gotischen Glasfenster der Stadtpfarrkirche wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mit der Neugestaltung wurde der in Salzburg ansässige, aus Schwaben stammende Künstler Albert Birkle beauftragt, der während der NS-Zeit als entarteter Künstler eingestuft gewesen war. Birkle schuf zwischen 1950 und 1958 ein grandioses Bildprogramm. In bunter Farbigkeit und mit expressiver Ausdruckskraft nimmt der Künstler in seinen Szenen Bezug auf das Kirchenpatrozinium sowie auf das Leiden und die Auferstehung Jesu.
Der Erzählzyklus beginnt an den südseitigen Fenstern des Chors, die alttestamentliche Vorbilder zur Kreuzigung zeigen.
Das erste Fenster ist in zwei Erzählfelder geteilt und zeigt das Geschehen von Kain und Abel aus dem Buch Genesis (Gen 4). Adam und Eva hatten zwei Söhne: Abel, den Schafhirten, und Kain, den Ackerbauer. Das obere Bildfeld zeigt die beiden bei ihrem Opfer, das sie Gott darbringen. Gott, als weißbärtiger Mann auf dem Regenbogen sitzend und von einer Gloriole umgeben, wendet sich Abel zu, der ihm kniend ein Schaf seiner Herde darbringt. Voll Neid, weil Gott das Opfer der Feldfrüchte nicht ausreichend beachtet, sitzt Kain zusammengekauert mit gesenktem Blick in der Ecke. Dafür wird er von Gott ermahnt: "Wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. ... Doch du werde Herr über ihn!" (Gen 4,7) Das untere Bildfeld setzt die Schilderung fort. Vom eigenen bruder Kain aus Eifersucht erschlagen, liet Abel am unteren Bildrand. Nach links gewendet, wird Kain von einem erzürnt dargestellten Gott verstoßen. Die Ermordung Abels durch Kain ist eine alttestamentliche Vorausschau auf den Opfertod Jesu Christi.
Das zweite Fenster zeigt im Hauptbild ein Geschehen, das den Israeliten beim Auszug aus Ägypten widerfahren ist. Auf dem Weg durch die Wüste werden sie missmutig und murren egen Gott. Da sendet Gott feurige Schlangen unter das Volk, die sich in grellem Orangerot durch das untere Bildfeld schlängeln, die Menschen beißen und teils töten. Nach dem Erkennen des sündigen Verhaltens erhält Moses von Gott den Auftrag: "Fertige dir ein Schlangenbild an und befestige es an einer Stange; wer dann gebissen ist und es anschaut, soll am Leben bleiben." (Num 21,8) Diese eherne Schlange bildet das Zentrum des Bildes. Auf sie weist der links stehende Moses hin und ihr wenden sich die ebissenen Israeliten mit der Bitte um Heilung zu. Direkt über der Schlange hat Birkle einen Gnadenstuhl eingefügt: Gott Vater, über dem die Heiliggeisttaube schwebt, präsentiert seinen gekreuzigten Sohn. Das Heilsgeschehen durch die Kreuzigung und den Tod Jesu steht in typologischer Verbindung mit der ehernen Schlange. Die Heilung der Isreliten steht bildhaft für jenes Heil, das Jesus durch seinen Tod am Kreuz, ebenso wie die Schlange "erhöht" an einem Holz hängend, erwirkt hat. Die gläubigen Christen erfahren heilung, wenn sie auf den Gekreuzigten blicken wie vormals schon die Israeliten (Joh 3,14-15).
Das dritte Fenster ist der Geschichte um Abraham und Isaak gewidmet. Im hohen Alter hatte Abraham noch einen Sohn, Isaak, geschenkt bekommen. Nun prüft ihn Gott: "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh ins Land Morija und bring ihn dort auf einen Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar." (Gen 22,2) Das obere Bildfeld zeigt wieder Gott thronend auf dem Regenbogen in einer Gloriole. Darunter stehen rechts die beiden Jungknechte des Abraham mit dem esel, die kurz vor dem Opferort zurückgelassen werden. Abraham und Isaak, der das Feuerholz tragen muss, setzen alleine den Weg nach links fort. Das Bildfeld darunter zeigt die dramatische Wende: Auf dem aufgeschichteten Feuerholz liegt gefesselt Isaak, während Abraham bereits die Hand mit dem Messer erhoben hat und bereit ist, das Opfer seines einzigen Sohnes Gott darzubringen. Der Engel des Herrn jedoch hält ihn zurück, und als Abraham aufblickt, sieht er einen Widder im Gestrüpp. Diesen bringt er Gott als Opfer dar. Die Opferung Isaaks ist ein weiterer Verweis auf das Kreuzesopfer Jesu Christi. Wie Isaak das Opferholz, muss Jesus das Kreuzesholz tragen.
Die Osterfenster erzählen die Passion und Auferstehung Jesu: Diese beginnt im rechten Fenster oben mit dem Gebet am Ölberg. Im Vordergrund sind die drei schlafenden Apostel gezeigt, von denen Petrus mit dem Schwert rechts und Johannes als junger Mann links erkennbar sind. Von diesen unbemerkt drängen rechts im Hintergrund Soldaten in militärischen Uniformen, mit verzerrten Gesichtern und mit Fackeln in den Ölberggarten. Im Zentrum kniet Jesus in weißem Gewand und betet: "Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen." (Lk 22,42) Und der Engel erscheint Jesus, um ihm Kraft für das Kommende zu verleihen.
Die Geißelung Jesu darunter zeigt den Gottessohn an eine Säule gebunden im Zentrum des Raumes stehend. Zwölf Soldaten mit wutverzerrten gesichtern schlagen mit Peitschen und Geißeln auf den bis auf ein Lendentuch entblößten Körper ein. Die unterste Bildreihe zeigt in Anlehnung an die christliche Ikonographie Darstellungen der Arma Christi, also jener Leidenswerkzeuge, mit denen Christus gefoltert wurde: Dornenkrone, Essigschwamm und Lanze; Kreuz mit Leichentuch, INRI-Tafel, Hammer, Nägel und Zange; Gewand Jesu, Geißel, Leiter und Speer.
Die Erzählung wird im linken Fenster unten mit der Verspottung und Dornenkrönung Jesu fortgesetzt. Demütig den Blick gesenkt, sitzt Jesus im roten Gewand mit dem Schilfrohr im Zentrum des Geschehens. Während vier der Soldaten mit Stöcken die Dornenkrone aufs Haupt drücken, muss er Schmähunen und Geißelhiebe der weiteren Scheren mit ihren verzerrten Fratzen hinnehmen. Aus den bitteren Erfahrungen der NS-Zeit und seiner Ächtung als entarteter Künstler hat Birkle in diesem Feld die Porträts der beiden Diktatoren Adolf Hitler und Benito Mussolini einefügt. Rechts oben wohnen die beiden Porträtgestalten der Schmähung Jesu bei. Was zunächst für Skandal und Diskussion in der Entstehungszeit der Fenster sorgte, macht heute die Fenster für Besuchende sehr anziehend, wenngleich dieses kleine Detail nicht die künstlerische Kraft und Qualität des Werkes hintanstellen darf.
Die Szene darüber zeigt Jesus beim Tragen des Kreuzes. Im Zentrum steht weiß gekleidet Jesus mit dem Kreuz auf dem Rücken. Im roten Gewand links daneben hilft ihm Simon von Zyrene das Kreuz zu tragen. Der Blick Jesu ist nach links gewendet, wo seine Mutter Maria und eine weitere Frau stehen. Rechts im Bild kniet Veronika und streckt Jesus das Schweißtuch entgegen, während ihn ein Soldat darüber mit Geißelhieben zum Weitergehen treibt. Dicht gedrängt ist die Menschenmenge darüber - nur Männer, zahlreiche derb blickende Soldaten - dargestellt, unter ihnen der Hauptmann Longinus auf dem Pferd.
Im Hintergrund der Stadt Jerusalem erscheint bereits der Golgothahügel unter der blutroten Sonne, die sich mit Wolken zu verdunkeln beginnt.
Im unteren Bereich des Mittelfensters thematisiert Albert Birkle die Kreuzigung Christi. Streng symmetrisch ist Jesus an das Kreuz geheftet darestellt mit der knienden Maria Magdalena, die seine Beine umfasst. In tiefer Trauer stehen die beiden Begleitfiguren an den Seiten: links seine Mutter Maria mit verzweifelt emporgestreckten Händen und rechts vor Schmerz in sich gekehrt der Lieblingsjünger Johannes. Während weinende Engel auf dem Querbalken den Tod Jesu betrauern, fangen Engel mit Kelchen das Blut aus den Nagelwunden der Hände auf und stellen so einen Bezug zum Kirchenpatrozinium her. Die kleine untere Bildreihe zeigt das eucharistische Geheimnis der Wandlung vom Wein zum Blut Christi durch den Priester und die versammelten Gläubigen in der Heiligen Messe.
Das Mittelbild darüber zeigt die Auferstehung Jesu: Die Wächter sind erschrocken zu Boden gestürzt, denn in einer Mandorla, umgeben von Weihrauch- und Anbetungsengeln, erscheint auferstanden aus dem Grab der lebendige Jesus Christus. Strahlend und mächtig steht er mit der Siegesfahne in der Hand da und hat die rechte Hand zum Segen und zum Zeichen des Sieges über den Tod erhoben.
Als Zwischenthema fungiert das Glasfenster an der Ostwand des südlichen Seitenschiffes, das den Erzengel Michael im Kampf gegen das Böse zeigt. Der mächtige Engel im Grünen Gewand hat den rechten Arm mit dem Schwert über den Kopf erhoben. In der Linken hält er eine Schriftrolle. Er steht auf einer hageren, menschenähnlichen Kreatur mit langem Schwanz, die am Boden liegt und die im letzten Aufbäumen Feuer aus ihrem Mund speit.
Das Thema der Chorfenster wird im Fenster der Westfassade fortgeführt: Angelehnt an die Offenbarung des Johannes zeigt Birkle die Wiederkunft Christi als Weltenrichter. Jesus Christus im leuchtend roten Gewand sitzt auf dem Regenbogen in einer Mandorla. Schwert und Lilie ragen aus seinem Mund, sein Haupt wird von einem Kreuznimbus umstrahlt. Zwölf Personen, wohl die Apostel, umgeben ihn. Zu seinen Füßen links und rechts knien Maria und Johannes als Fürbitter für die Menschheit.
Das letzte Bild darüber zeigt die Schlussvision des Himmlischen Jerusalem. Inmitten einer gläsernen Stadt mit Mauer, Türmen und Engeln sitzt das von einem Lichtkranz umgebene Lamm: "Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm."
Birkle schuf mit seinen Glasfenstern eine leuchtende Erzählung und Deutung des Leidens Jesu und der Menschheit. Darüber hinaus stellt er den Betrachtenden eindrucksvoll die Vision des Christentums vor Augen.
Aus: Heimo Kaindl / Alois Ruhri. Stadtpfarrkirche zum Heiligen Blut Graz. Verlag Diözesanmuseum Graz 2014. Hrsg. von Christian Leibnitz, S. 37-47.